Dr. Anne Käfer

Vernissage am 27. März 2010 im Kunstraum S.A.L.Z. in Schwäbisch Hall

 

Liebe Frau Walter, lieber Herr Walter, lieber Herr König, sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, heute Abend hier mit Ihnen die Ausstellung von Herma Walter eröffnen zu dürfen.
Unter dem Titel „Im konzentrierten Spiel Energie erleben“ zeigt uns Herma Walter Werke aus 15 Jahren Kunstschaffen.

Konzentriert sind die ausgestellten Werke, die Collagen, Skulpturen und Bilder von Herma Walter. Sie zeigen nicht Vielerlei, weder an Formen noch an Farben. Sie leben von der Konzentration auf das Eine, auf den Ausdruck von Stimmung. Eine Gestimmtheit macht sich breit auf Papier und Sperrholzplatten; wie ein Klang erfüllt sie den papierenen Raum.

Die Stimmung der Künstlerin ist das Eine, auf das sich ihr Spiel mit Farben und Formen konzentriert, um das ihr Spiel sich dreht und kreist. – Ein Spiel ist es, zu dem die Künstlerin sich gestimmt und getrieben fühlt. Sie spielt mit dem, was sich ihr zeigt und was ihr im Inneren entsteht. Und sie spielt, indem sie die inneren Bilder nach außen bringt. Das Bild, das ihr im Inneren entstand, die Farbe, die ihrer Stimmung entspricht, und die Form, die im Einklang mit ihr selber ist, die malt sie aus sich heraus, um sie daraufhin im Raum zu betrachten. Ins Auge nimmt sie dann das Gemalte, das Aus-ihr-heraus-Entstandene. Sie sieht nun außer ihr, was in ihr war. Und das, was auf dem Papier oder den Sperrholzplatten erscheint, das regt die Phantasie zum Spiel mit neuen Bildern an, die sich erneut im Inneren bilden.

Das freie Spiel der Phantasie scheint ein Dialog, ein Wechselspiel zu sein zwischen den Bildern im Inneren der Künstlerin und den Farben und Formen, die auf Papier und Sperrholz bereits ausgedrückt worden sind.

Mehr jedoch als ein Zwiegespräch ist das Spiel der Künstlerin. Denn angeregt wird das Spiel ihrer Phantasie über einen, wie sie selber sagt, „Kanal“ oder „roten Faden“, dessen eines Ende die Künstlerin berührt. Das andere Ende aber reicht dorthin, wo die Kraft wirkt, durch die die Künstlerin zu bestimmten, ihrer Stimmung gemäßen Farben und Formen angeregt wird. Die Künstlerin empfängt den Antrieb zum Spiel mit den inneren Bilder; ist sie angeregt und inspiriert, dann bilden sich kunstvolle Vorstellungen und Bilder in ihr. Diese Bilder bilden sich im Umgang mit der Wirklichkeit, sie bilden die Wirklichkeit jedoch nicht ab.

Gerade in ihrer Abhängigkeit von schöpferischer Inspiration und kreativem Antrieb schafft die Künstlerin in großer Freiheit. Das Spiel ihrer Phantasie ist nicht an die Wirklichkeit gebunden. Sie ist vielmehr fähig, mit der Realität in ganz und gar freier und individueller Weise umzugehen.

So sind unter der Hand der Künstlerin Bilder entstanden, wie dasjenige, das einzeln an der schmalen Wand im ersten Zimmer hängt und mit seinem blauen Hintergrund entgegenleuchtet. Hier lässt sich wohl der Körper eines Embryos erkennen, der geborgen vom Leib seiner Mutter dargestellt ist. Doch nicht darauf kommt es an, hier einen Embryo im Mutterleib zu erkennen. Vielmehr stellt die mehr oder weniger gegenständliche Darstellung Geborgenheit und Verlässlichkeit vor Augen.

Der Künstlerin Herma Walter geht es gerade nicht um die naturgetreue Abbildung von Wirklichkeit, sie hat nicht die Biologie im Blick, sondern vielmehr ein besonderes Gespür für das in und hinter der Wirklichkeit Verborgene. Sie hat ein Gespür für das, wie und wovon die Wirklichkeit lebt. Und das bringt sie hervor, das zeigt sie uns.

Indem sie uns an ihren Vorstellungen und inneren Bildern Anteil gibt, fordert sie uns zum Mitspielen heraus.

Sie selbst wird im Prozess des künstlerischen Schaffens von dem, was unmittelbar durch ihre Hände entsteht, weitergetrieben im kreativen Spiel, bis hin zu dem nicht berechenbaren Moment des Zu-Ende-Gekommenseins. – Wann ist das Kunstwerk vollendet? Die Antwort fällt schwer. Wer kann sagen, ob nicht eine Ergänzung vielleicht das Werk erst vervollkommnete? Und doch ist stets irgendwann der Moment gekommen, von dem an das Werk ein Spiel aus sich heraus motiviert. Dann bedarf es nicht länger eine Veränderung des Gemalten und Geformten, weil Stimmung und Ausdruck der Künstlerin bereits zur Übereinstimmung gekommen sind.

Mit einem Namen, einem Titel kann der Schöpfungsprozess beendet und die entstandene Ganzheit als bestimmte Einheit gekennzeichnet werden. Dieser Titel aber – gibt er uns nicht vor, wie das Spiel zu spielen ist, das das Werk in sich birgt und noch verbirgt? Nun, Spielregeln nennt er wohl. Eine Anleitung kann er sein beim Spiel mit den Bildelementen, den Farben und Formen, die aus der Künstlerin hervorgegangen sind. Keineswegs jedoch soll er das Spiel der Betrachtenden beengen. Das Spiel der Rezeption möge frei sein, wie das Spiel der Produktion. Die Phantasie der Betrachtenden möge angeregt und frei eigene Vorstellungen bilden.

Ganz ohne Titel und Gegenständlichkeit sind die vier kleinen Bilder, die im ersten Raum gegenüber den beiden großen Collagen hängen. Nicht nur jedes einzelne Bild beschäftigt die Phantasie und regt die Vorstellungskraft an. Auch in ihrem Zusammenklang regen die vier Werke ein Umstellen der gehängten Ordnung und ein Neuzusammensetzen und Ergänzen der gemalten Farben und Formen des einen Bildes durch die Farben und Formen eines anderen an. Hinge ein anderes Bild neben diesem oder gar unter jenem, ergäbe sich ein neues Gesamtbild; andere Farben ständen in Spannung zueinander, die Neuformierung erschlösse eine andere Harmonie. Das freie Spiel der Phantasie ist angeregt und losgelassen.

Nach Friedrich Schiller, in seinem 15. Brief „Über die Ästhetische Erziehung des Menschen“, ist in solchem Zustand der Freiheit wahres Menschsein erreicht. – Ich zitiere: „Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Freiheit verspürt der Mensch im Spiel, und eben Freiheit zeichnet wahres Menschsein aus.

Im Spiel ist der Mensch frei von jeglicher Zweckgebundenheit. Es gilt nicht, einen Zweck zu erfüllen, sondern ganz und gar zwecklos, ganz und gar ohne Zielbestimmung bildet die Phantasie ihre Bilder. Die spielende Rezeption wie die spielende Produktion auch befreit geradezu von der Last der Zweckerfüllung. Kein Zweck muss erreicht und kein Nutzen erbracht werden, allein Freiheit wird gelebt.

Doch, anders als Schiller annimmt, wäre es verheerend für das freie Spiel der Phantasie, wäre es von der Wirklichkeit und vom Ernst des Lebens getrennt. Wäre das Spiel der Kunst nur ein Bereich neben den ernsten Dingen des Lebens, um womöglich von ihnen abzulenken und sie gar vergessen zu machen, dann wäre sie doch nur ein kleiner, begrenzter Zufluchtsort auf Zeit.

Es ist jedoch wohl vielmehr so, dass die Künstlerin ihre Werke mit Ernst gefertigt hat. Sie kennt den Ernst des Lebens und keine anderen Vorstellungen und Stimmungen als die, die das Leben mit sich bringt, wirken in ihr und beschäftigen sie bei ihrem kunstvollen Spiel. Doch spielt sie eben mit ihnen, und das zeichnet ihre Kunst aus. Die Betrachtenden treten ebenfalls nicht in einen von der Realität und vom Ernst des Lebens getrennten Raum, wenn sich ihnen die Sphäre der Phantasie eröffnet. Sie spielen frei von den Zwecken des Lebens mit dem Ernst des Lebens, der als inspirierter Ausdruck der Künstlerin in ihre Vorstellungen, in ihre Phantasie und Geistigkeit dringt.

Das geistige, phantasievolle Spiel mit dem Ernst des Lebens, der freie Umgang mit der Wirklichkeit, der nicht zweckgebundene Blick für das Leben – was kann dem Menschen Schöneres widerfahren? Und durch solche Schönheit der Kunst darf er die Güte erleben, von der auch das Ernste und Ernsthafteste getragen ist.

Dadurch, dass die Künstlerin uns mit ihren phantasievollen Werken Schönheit zeigt, wird sie uns zur Mittlerin wirkmächtiger Güte. Sie vermittelt auf sinnliche und geistige Weise die Wirkmacht, die gute und gnädige Energie, die in und hinter der Wirklichkeit wirkt. Von dieser Wirkmacht ist sie selbst angetrieben, inspiriert, ja begeistert. In inspirierter Stimmung wird sie aufmerksam auf das, was sich ihr zeigt und was ihr in der Wirklichkeit begegnet, um es in freier, kunstvoller Weise zu gestalten.

Ein besonderes Beispiel für die Darstellung einer solchen, besonders begeisterten Begegnung stellt die Collage mit dem Anagramm dar, die im ersten Raum zu finden ist.

In diese Collage fügt sich das Anagramm ein, das auf der Radierung „Faust“ von Rembrandt einen berühmten Platz gefunden hat; die Farbe und auch das Muster des Anagramms harmonieren mit den andere Bildelementen. Das Anagramm, das aus dem Einband eines Buches herausgeschnitten ist, es scheint wie für die Collage gedacht zu sein. Als die Künstlerin das Anagramm in Händen hielt, war sie davon so angetan, dass es ihre Collage bereichern musste.

Wenn die Buchstaben des Anagramms in die richtige Reihenfolge gebracht werden, entstehen die lateinischen Sätze „Adam te adgeram“ und „tangas larga latet amor“, zu deutsch: „Mensch, ich, Christus, werde dich zu Gott hinführen“ und: „Berühren magst du Vieles, verborgen bleibt die Liebe Gottes.“ Die verborgene Liebe Gottes, die im Anagramm verschlüsselt ist, sie befindet sich auf der Collage zwischen zwei Augen. Die Pupillensterne dieser Augen scheinen das Sternenkreuz des Anagramms widerzuspiegeln. Sie scheinen das Rätsel zu verstehen. Ob ihnen auch die Liebe Gottes entborgen ist? Ob sie die Kraft kennen, die sich wirkmächtig erweist, indem sie zum phantasievollen, künstlerischen Spiel bewegt. Unverfügbar ist diese Kraft, aber doch eben wirkmächtig, inspirierend und energisch. Sie treibt an zum phantasievollen Spiel. Und vermittelt über die Werke der Künstlerin können auch die Betrachtenden zum Spiel begeistert werden. Wirkmächtig, energisch können die Werke der Künstlerin auf ihre Rezipientinnen und Rezipienten wirken.

Ich lade Sie deshalb nun ein, die ausgestellten Werke von Herma Walter wirken zu lassen, ihre Energie zu spüren und mitzuspielen. Am besten wohl verzichten sie zunächst darauf, den Titel der Werke wissen zu wollen. Frau Walter schlägt vor, dass sie die Bilder zunächst unabhängig von ihren Titeln betrachten, und am liebsten wäre es ihr, wenn Sie sich bei der Namensgebung beteiligten. Frau Walter ist gespannt auf Ihre Titel. Es liegen Bleistifte bereit, mit denen Sie die titellose Bilderliste beschriften können. Eine Liste mit den Titeln von Herma Walter liegt ebenfalls aus.

Ihnen, liebe Frau Walter, gratuliere ich sehr herzlich zu Ihrer Kunst und ihrer Ausstellung, und uns allen wünsche ich nun eine gute Betrachtung.

 

 

Claudia Scheller-Schach MA:
Einführung in die Ausstellung
"hermetisch - wild"

im Stadtmuseum im Spital Crailsheim
am 15. 09. 2010

Herma Walter ist eine sehr reflektierte, über sich und ihre Kunst nachdenkende Künstlerin.
Das „Nachdenken“ ist aber nicht oder nicht nur intellektuell zu verstehen – besser wäre vielleicht die Bezeichnung „Nachspüren“. In „Nachspüren“ ist das Wort Spur enthalten und auf eine Spurensuche in ihrem Werk in dieser Ausstellung möchte ich Sie mit meinen Ausführungen mitnehmen.

Hier in der Kapelle sind wir umgeben von einer Werkgruppe aus acht Holztafeln, die – so scheint  es – hier ihren idealen Ausstellungsort gefunden haben. Entstanden sind die Collagen schon vor einigen Jahren – nicht dass Sie glauben, die Künstlerin hätte auf die gotische Wandgestaltung  dieses sakralen Raumes reagiert. Dieser Schluss liegt nahe, wenn wir die Farben vergleichen, das mehrfach auftretende Kreuzzeichen bzw. die vertikal-horizontale Akzentuierung bemerken. Dazu lassen auch  die Titel menschlich-existenzielle bis  spirituelle Themen vermuten. Jedoch, wie gesagt, die Gruppe entstand nicht im Hinblick auf einen solchen Ausstellungsraum.
Die Künstlerin hat sich vielmehr auf Material, das ihr zufällig zur Verfügung stand eingelassen: auf eine weiße Grundierung der Platten legte sie verschiedene Papiere, gestaltete Flächen und Faltungen, spielte mit grafischen Elementen und malerischen Partien; manchmal ist die Herkunft des Materials noch erkennbar:
ein Lampenschirm aus Papier, Klebeband, Seiten aus einem Buch und Verpackungsmaterialien bestimmen mal mehr mal weniger die formale Erscheinung der Collagen. Die Künstlerin war im Schaffensprozess bereit, aus den Vorgaben weitere Strukturen und Linienverläufe zu entwickeln, sie mit wenigen Linien, mitunter auch Farben zu akzentuieren. Des Weiteren treten auch figürliche Motive in Erscheinung: Augen und Hände, Figuren und Gesichter kommen zeichenhaft daher, entwickeln aber neben der starken Präsenz der abstrakten Bildmittel eine ebenfalls starke Position. Für die Künstlerin wird so im Nachhinein das Thema klar und eine Benennung mit Titeln schließt den Schaffensprozess ab.

Zwei andere Werkgruppen von Herma Walter sind im Obergeschoss des Museums zu finden: Es handelt sich um Drucke und um Malerei.
Zunächst zu den Gemälden: sie vermitteln wieder – ähnlich den Collagen hier – einen Anteil intuitives Arbeiten gepaart mit einer tastenden, suchenden Linienführung, die einen Dialog vermuten lässt.  Einen solchen  Dialog stelle ich mir so vor: äußere Eindrücke, Erlebnisse, Stimmungen stellen den Anlass für das Malen dar, ein Anfang wird gemacht, dann fächert sich im Nachspüren – ich greife den Begriff vom Anfang nochmals auf  - es fächert sich also ein ganzes Vokabular von Gestaltungsmitteln auf: starke Farb- und Hell-Dunkel-Kontraste finden ihren Ausgleich in feinen Abstufungen von Farbflächen, die wiederum den Grund  für frei agierende Formen, darstellen. Die im wahrsten Sinne des Wortes vielschichtige Gestaltung  der Bildoberfläche erschließt tiefere Räume – wie Höhlen und Spalten, um einmal subjektive  Assoziationen konkret zu benennen.

So bietet sich dem Auge des Betrachters ein spannendes Spektrum dar. Es umfasst  dynamische Bildmittel und harmonischen  Ausgleich, es verbindet gegenstandsfreie Formationen mit figürlichen Versatzstücken.

Nach meiner Einschätzung wird hier eine Art Konzept für das gesamte Schaffen der Künstlerin deutlich: sie bringt verschiedene Ebenen der Wirklichkeit (gesehene, empfundene, geschaffene) über ihre Art der Gestaltung zu einer Einheit. Kann man diese These auch mit der dritten Werkgruppe, den Drucken, belegen? – Rhetorische Frage – deshalb Antwort: ja!
Es findet sich nämlich darin eine interessante Kombination von Wirklichkeit – im Sinne von Realien, nämlich Materialien und künstlerischer Konzeption und Komposition auf der Bildfläche: mit Holz und Glas fertigte Herma Walter Mitte der 90er Jahre eine Serie sehr konzentrierter Drucke an. Reduziert auf wenige Formen und Farben sind sie dafür umso intensiver in ihrer Wirkung. Harte Linien fassen gleichmäßig gefärbte Flächen ein – vermitteln das Glatte, scharfkantige von Glas. Daneben wird der Abdruck von Holz sichtbar: die Holzmaserung liefert eine feine Binnengliederung der Fläche. Die wenigen Formen und Strukturen werden in der Bildserie variiert:
mal stehen sie puristisch nebeneinander, mal überlagern sie sich und entfalten so einen Dialog untereinander und mit dem Bildraum. Ein solcher Dialog muss nicht Bildinhalte vergegenständlichen, sondern er erzählt von oben und unten, von Bewegtheit und Ruhe, von Freiraum und belebtem Raum. Wobei die unbedruckte Fläche des Papiers keine Leerfläche ist, sondern integrativer Bestandteil des Ensembles.

Obwohl die Druckträger Holz und Glas ja schon vieles mitbringen – Urheberin des ästhetischen Erlebnisses ist natürlich die Künstlerin: ihre Setzungen sind dafür entscheidend.
Diese Setzungen vollzieht Herma Walter nicht willkürlich, schon gar nicht wild, aber auch nicht brav, sondern in der genau richtigen Balance.

 

 
Monika Pfau, MA:
Einführung in die Ausstellung Herma Walter
Mein Weg zur Kunst – Innen wird Außen“
am 6. April 2019

Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr, heute Abend eine Einführung zu den hier bei der Firma miku Natursteine präsentierten Werken der Künstlerin Herma Walter halten zu dürfen. Vielen Dank liebe Herma für die Einladung.

 Anlässlich des anstehenden 75. Geburtstages von Herma Walter und der Einweihung des neuen Werk- und Bürogebäudes der Firma miku, sehen Sie hier als Retrospektive angelegt eine Auswahl aus dem umfangreichen Oevre der Künstlerin der letzten 30 Jahre.
Die vierte Einzelausstellung der Künstlerin trägt den Titel:
„Mein Weg zur Kunst – Innen wird Außen“.

Den Rahmen der Ausstellung bildet das soeben fertig gestellte Gebäude von miku mit einem großzügig, hochwertig und ästhetisch ansprechenden Architekturkonzept. Man spürt, dass hier Menschen am Werk sind, denen in der täglichen Arbeit mit Fliesen und Natursteinen Haptik, Qualität, Stil und Haltung wichtig ist. Diese Feinheiten und Achtsamkeit im Umgang mit Gegenständen und der Umgebung verdienen besonderer Beachtung: Es gibt hier viel Licht, liebevoll ausgewählte alte Holzmöbel im Empfangsbereich, die einen warmen Kontrast zum Sichtbeton der Wände bieten, dazu eine Tischtennisplatte wie bei einem Berliner StartUp, die zu Bewegung und einem freien Kopf einlädt. Alles Hinweise auf lndividualität und eine eigene Handschrift des Eigentümers und Teams.

ln diesem Bau findet Herma Walters Kunst eine willkommene Umgebung. Als Kunsthistorikerin finde ich es wundervoll, dass an diesem Ort Arbeit mit Kunst verbunden wird. lch empfinde es als großes Geschenk und Bereicherung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nimmt man die Bilder wahr, können sie Raum für Ruhe, lnspiration und Erdung schaffen. Kunst kann zum Zufluchtsort der Reflexion und des Findens werden.

Ich habe die Künstlerin Herma Walter im Kunstverein Schwäbisch Hall kennengelernt, wo sie seit 1997 als Künstlerin im Vorstand, Beirat und als Kuratorin mit ihrem bereichernden Wissen und ihrer wohlüberlegten Art tätig ist. Ich erlebe Herma Walter als eine in sich ruhende, bewusste und durchdachte Frau, zurückhaltend, aber mit Mut, und einem wachen, lebendigen Auge. Sensibel, feinfühlig, zärtlich im Umgang mit ihrer Umwelt.

 

Wie begann Herma Walters Weg zur Kunst? Früh kam sie durch die Frauen in ihrer Familie in Berührung mit Kunst. Es waren ihre Mutter und Tante, die in Norddeutschland neben ihren Rollen als Mütter, Berufstätige, Ehefrauen, Hausfrauen, sich die Zeit und die Freiheit nahmen, Kunst zu schaffen. Etwas zu tun, das sie allein betraf und ihnen Kraft gab.
Alleine im zehrenden Alltag Raum für Kunst zu finden ist bereits an sich eine große Kunst. Dafür bewundere ich Herma Walter.

Sie nahm sich den kreativen Raum, produzierte, kreierte, malte, verwarf, zerstörte, belebte, erschaffte - immer wieder, auch mit schweren persönlichen Lebens-, Krankheits- und Sinnkrisen, seit 30 Jahren. Dabei begleitete sie das Motto: „fabricando fabricamur: etwas gestaltend, werden wir gestaltet.“
Für Herma Walter ist die Suche essenziell, um das sonst unzugängliche Innere durch die Kunst sichtbar werden zu lassen. Durch Konzentration auf das Gestalterische, auf die schaffende Hand, und die Freiheit von jedem Darstellungsdrang, möchte sie ein Tor zur Innenwahrnehmung öffnen. Denn Kunst spiegelt für Herma Walter das Innere wieder.

 

 Mitte der 70er Jahre begann Herma Walter als Autodidaktin an ihrer freien Kunst zu arbeiten. Anfang der 90er Jahre besuchte sie die Haller Akademie der Künste.
Das Studium an der Akademie teilt meiner Meinung nach das Werk in drei Phasen:
eine Zeit vor, während, und nach der Akademie.

 Die erste Schaffensphase dominiert die Linie. Im Flur zwischen Bürotrakt und Werkhalle sehen wir schwarz weiße Kohlezeichnungen, mit gebogenen, fließenden, von einander scharf abgegrenzten Flächen, ähnlich wie bei dem Vertreter des lnformel Karl Otto Götz.
Herma Walter sagt dazu: „In den Bildern zeigte sich meine (von meinem Vater geerbte) Liebe zur Schönheit von mathematischen Kurven, die ich auch in der Natur wiederfand. Ich versuchte, in den Bildern sowohl Spannung als auch Harmonie zu realisieren, (ein Bemühen, das sich sicher auch in der Gestaltung meiner Lebenswelt ausdrückte).“ Ihre Zeichnungen zeigen eine Vitalität und Kraft des Ausdrucks, die im dynamischen Schwung, einem Kreisen, einer gestischen Malerei spürbar ist, aber von der Linie als Begrenzung noch zusammengehalten wird.

 lm gleichen Flur sehen wir eine Serie von Kopffüßler Zeichnungen, die 1981-1985 entstanden sind und die aus exakt gezogenen Linien bestehen. lch möchte diesem in sich schlüssigen Werkkomplex kurz besondere Aufmerksamkeit widmen, denn aufgrund des sehr persönlichen Bezuges – einem Tagebuch gleich -, war es nie beabsichtigt sie der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Kopffüßler sind Figuren, die man sie aus Kinderzeichnungen kennt. Sie bestehen nur aus Kopf und Füßen. Herma Walter macht aus diesen Kreaturen eher Augenfüßler, mit einem, drei oder auch vier Augen. Sie zeigt sie in Frontalansicht, der ganze Körper füllt das Blatt von oben bis unten aus. Das Auge als Motiv ist dabei zentral, es schaut zurück, es fragt, vielleicht klagt es auch an. Diese hochkonzentrierten Figuren bilden für mich eine rätselhafte Werkgruppe. Es bilden sich wiederkehrende Motive heraus, die für Themen stehen, die Herma Walter beschäftigten: das Auge, das für Erkennen steht, die Hand für das Tätigsein, der Busen für die Liebe, die Verbindung nach oben im Sinne von Religion, der Versuch, das verbindende Band zu greifen, für die Auseinandersetzung mit Gesellschaft. Herma Walter stellte fest, dass die Themen die sie beschäftigten auch andere Menschen betrafen und dass „geistige Offenbarungen“ nicht ihr Eigentum bleiben sollten. Kunst sollte allen zugänglich sein, um Gemeinschaft, Erkenntnisgewinn und das vereinigende Gefühl zu schaffen, nicht alleine zu sein.

 

Technisch sind die Zeichnungen aber auch eine Zeichen-Übung. Einer musikalischen Etüde gleich, werden wiederkehrende Motive in verschiedenen Sequenzen seriell wiederholt. Das Ziel ist dabei größere Kunstfertigkeit zu erlangen, die Qualität der Linie zu steigern. Denn: Eine Zeichnung mit nur einer Linie zu machen ist unglaublich schwer. Es erfordert höchste Konzentration und auch Können. Ein Vermalen wird nicht verziehen. Herma Walter ist hier streng mit sich. Sie übt den Strich und zugleich übt sie auch die Fähigkeit eine Figur zu abstrahieren. Für mich, sucht Herma Walter in den Augenfüßlern einen Ausweg aus der Begrenzung der Linie. "Um zu wissen was man will, muss man zu Zeichnen anfangen", sagte schon Picasso. Und am besten wäre, man holt sich dabei Unterstützung...

 

Nach vielen Begegnungen mit Kunstschaffenden hat Herma Walter 1992 ein Studium in der neugegründeten Akademie der Künste in Schwäbisch Hall aufgenommen. Dort experimentierte sie mit Farbe, Zeichnung, Druck und Plastiken.

Schaut man sich Arbeiten dieser zweiten Werkphase an fällt auf, dass sie sich nun von der Linie hin zur Fläche öffnen. Herma Walter macht bei Werner Mönch eine technische Schleife über die Farbe und Gegenstandslosigkeit, bei der die gesamte Leinwand von weich ineinander verlaufenden Farbflächen gefüllt wird. Michael Klenk lenkt ihre Strichführung in der Zeichenklasse von der strengen Linie hin zu einer suchenden, tastenden, forschenden. Sie lernte selbstbewusst Bilder energisch und doch sensibel zu übermalen und freier, lockerer, leichter mit Räumen auf der Leinwand umzugehen. Peter Guth, der ebenfalls wie Michael Klenk Schüler des im Informel verankerten Rudolf Schoofs war, führt sie an die Sensibilität und akkurate Arbeit mit Holzschnitten und -Drucken heran. Franz Raßl fördert die Orientierung im Raum und körperliche Formsprache in seinen Anweisungen bei den plastischen Arbeiten. Diese Zeit ist für Herma Walter künstlerisch sehr fruchtbar. Sie lässt sich von Dritten inspirieren, hat Raum auszuprobieren, sich vom Denken zu befreien und das unbewusste „Spielen“ zuzulassen – das Spielen, das ein wesentliches Merkmal ihrer Arbeit wird: „Denn Kunst lässt sich nicht machen, sie wird geschenkt.“

 

Doch merkt sie im Austausch und im „System Kunst“, dass es als Frau schwer ist in der männlich dominierten Szene zu bestehen, dass Sichtbarkeit und Anerkennung nicht immer mit gutem Inhalt zusammenhängt, sondern mit Netzwerken, Kontakten, gekonnter Selbstdarstellung. Herma Walter fokussiert sich auf sich und ihre Arbeiten. Sie findet eine künstlerische Haltung, die das klassische Form- und Kompositionsprinzip ebenso ablehnt wie die geometrische Abstraktion. Sie wendet sich von der streng geführten Linie ab, und beginnt einen freien und spontanen Schaffensprozess. Sie verfolgt Formoffenheit - genauer das Oszillieren zwischen Formverlust und Formerhalt -, und wendet sich dem Gestischen, der Farbe und bildimmanenten Texturen zu. Alles Qualitäten, die sich im auch lnformel und dem abstrakten Expressionismus wiederfinden.

 

Nach dem Studium und durch die Begenung mit Arbeiten von Joseph Beuys 1998 beginnt Herma Walters dritte und aktuelle Werkphase: Die Arbeiten werden größer. Sie verabschiedet sich von der Farbigkeit und erweitert die neu entwickelte Virtuosität auf der Fläche durch den Mut zum Experiment. Sie beginnt Papier und vorgefundene Objekte wie Pappen, Seidenpapier, Japanlampen oder Korbgeflechte als Collage auf Sperrholzplatten zu kleben. Schon die Dadaisten schätzten die Collage aufgrund der Kombinationsmöglichkeiten, Überraschungseffekte und der Möglichkeit des freien Spiels. Durch Kleben, Übermalen, Überdecken und Schichten bildet Herma Walter sensible Oberflächenstrukturen, mit Tiefe und Harmonie. Die Farbe Rot, die in den früheren Arbeiten bereits eine wichtige Rolle gespielt hat, wird nun in einer weichen, grau-beige-weißen Umgebung punktuell eingesetzt. Wie an den Werken hier im Raum zu sehen, ermöglicht der nun offene, von absichtsfreiem Spiel getragene Schaffensprozess, ein perfekt ausbalanciertes Zusammenspiel von gegenständlichen Elementen wie dem Kreis oder dem Kreuz, sowie leichten, transparenten Flächen und Linien als organische Grenzen.

 

Inspiration findet sie nun vermehrt in der Natur: organische Formen in Blüten, Risse im Asphalt, Verfallspuren in Wänden, Rosenstachel. Die unscheinbaren Dinge werden zu denen, die Schönheit in ihrer reinsten Form bergen.

 Eher als eine Stildefinition - die ich wie bereits erwähnt in Richtung lnformel und abstraktem Expressionismus verorte - würde ich Herma Walter eher eine Haltung gegenüber dem Schaffensprozess attestieren. ln ihren Bildern finden wir das Spiel, die Emotion, die Spontanität, das Suchen und Finden. Der Prozess ist wichtiger als Perfektion, Vernunft und Reglementierung. lhre abstrakte, teilweise auch abstrakt-figurative Darstellungsweise ist eher intuitiv als intellektuell. Die Formen sind eher organisch als geometrisch, eher kurvig als rechteckig, eher dekorativ als strukturell. Und die Begeisterung für das Spontane und lrrationale, für das Mystische und Unbewusste, ist eher romantisch als klassisch.

Ich selbst habe aus Hermas Bildern erfahren, dass Dinge Zeit brauchen, dass Dinge prozesshaft sind, dass sie manchmal feststecken, Unterstützung benötigen, einen Rat, um über Umwege zu ihrer Freiheit zu gelangen. Etwas zu können braucht Zeit und Geduld. Etwas zu können braucht immer wieder einen offenen Blick nach Außen, Empathie, Neugierde und Willenskraft, nicht aufzugeben und weiterzumachen. Geben wir uns also Zeit beim Betrachten dieser schönen Werke. Ich wünsche lhnen dabei vielerlei neue Einsichten.